| 
 There are no translations available. 
 Solche Szenen erzeugen Sympathie für die Sache der Rebellen,  verstärken das Bild von Davids Kampf gegen Goliath. Doch das Schauspiel  hat etwas Kulissenhaftes. Man wird das Gefühl nicht los, dass die wahre  Geschichte sich im Verborgenen abspielt. 
Es gibt in Bengasi überall einen Widerspruch zwischen Schein und  Sein, doch ist er kaum klar zu identifizieren – man ahnt ihn nur wie  eine im Nebel verborgene Klippe. Die Gefahr, dass das neue Libyen daran  zerschellen könnte, ist sehr real. Da tritt zum Beispiel Ali Abdussalam  Tarhouni, der Finanzminister des Übergangsrates, vor die Presse und  sagt: »Wir haben viele Konten, aber kein Geld, absolut kein Geld.  Alle Konten sind leer!« Aber es gibt doch die Libyen-Kontaktgruppe,  bestehend aus UN, EU, USA und zahlreichen anderen Regierungen, die  Hunderte Millionen Dollar versprochen hat. »Versprochen!«, antwortet  Tarhouni, ein 60-jähriger Ökonom, der bis vor ein paar Monaten noch in  den USA über Wertpapiermärkte geforscht hat. »Ich kann nur wiederholen:  Auch dieses Konto ist leer!« 
Bloß scheint in den Straßen von Bengasi nirgendwo Mangel an Geld zu  herrschen, die Gehälter der Regierungsbeamten werden ausbezahlt, viele  Banken haben ihre Tore geöffnet, lange Menschenschlangen bilden sich  davor. »Qatar«, sagt Tarhouni. »Nur unsere Freunde aus Qatar helfen und  zahlen. Wenn es sie nicht gäbe, dann wären wir in echten  Schwierigkeiten!« Die westlichen Diplomaten bestätigen, dass das Emirat  in Libyen eine große Rolle spielt und sich uneingeschränkt hinter die  Sache der Rebellen gestellt hat. Dass die westlichen Mächte zwar militärisch intervenieren,  aber kein Geld lockermachen, kommentiert ein westlicher Diplomat im  gräulichen Licht des Hotels Tibesti kurz und knapp: »Bomben werfen ist  ein Geschäft, Geld geben ist zunächst mal keines.« 
Es ist eine ernüchternde Lektion, welche die Menschen in Bengasi nun,  nach der Begeisterung über die libysche Revolution, lernen müssen: Jede  ausländische Macht schaut auf Libyen mit anderen Augen, und sie  verfolgen oft konkurrierende Interessen. Tarhouni benutzt die  ausländischen Reporter, um Botschaften an die jeweiligen Regierungen zu  senden. Als eine chinesische Journalistin nach der Zukunft der vielen  chinesischen Firmen fragt, die in Libyen vor dem Krieg investiert  hätten, antwortet er pflichtschuldig: »Wir garantieren die Einhaltung  aller Verträge.« Dann setzt er eine Warnung hinzu: »Aber es gibt immer  noch Regierungen, die darauf spekulieren, dass Gadhafi den Krieg  gewinnt. Ich kann Ihnen sagen: Er wird ihn nicht gewinnen! Und wer das  glaubt, den brauchen wir nicht.«
 
 |