Deutschland streitet über Aufnahme von Tunesiern PDF Drucken E-Mail
Mittwoch, den 16. Februar 2011 um 11:41 Uhr

Der Ansturm Tausender Tunesier überfordert Italien - jetzt verlangt das Land Hilfen der EU. Auch hierzulande beschäftigt das Drama im Mittelmeer die Parteien: Politiker von SPD, Grünen und FDP wollen Deutschland für Flüchtlinge öffnen, die Union möchte genau das verhindern.

Berlin - Die deutsche Politik ist gespalten, selbst die Regierungsparteien geben kein einheitliches Bild ab. Soll Deutschland tunesische Flüchtlinge aufnehmen? Diese Frage sorgt derzeit für Zündstoff.

 

Ja, meint Alexander Alvaro, der innenpolitische Sprecher der FDP im Europaparlament: "Deutschland sollte anbieten, Flüchtlinge aufzunehmen." Es gebe eine "gemeinsame Verantwortung" der Europäer, so Alvaro zu SPIEGEL ONLINE. Die Innenminister der EU-Staaten müssten über die Verteilung der Flüchtlinge sprechen, sollten diese Asyl beantragen. Alvaro: "Wir können nicht erst die Revolution in einem Land begrüßen und dann Auswirkungen ablehnen."

 

Massiver Widerspruch kommt aus den Unionsparteien. Keine Chance, die Vertragslage in Europa sei "eindeutig", bemerkt CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach. Er spielt auf die sogenannte Dublin-II-Verordnung der EU an. Darin ist festgelegt, dass der Flüchtling seinen Asylantrag in jenem EU-Land stellen muss, in dem er ankommt. Im aktuellen Fall also: Italien.

Innenminister: "Deutschland kann nicht die Probleme der Welt lösen"

Rückendeckung erhielt Bosbach von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU): "Wir können nicht die Probleme der ganzen Welt lösen", sagte er im "heute-journal" des ZDF. Vorwürfe, Deutschland schotte sich ab, wies er zurück. Deutschland habe im vergangenen Jahr insgesamt rund 40.000 Asylbewerber aufgenommen, Italien dagegen nicht einmal 7000.

Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Hans-Peter Uhl (CSU), geht noch einen Schritt weiter. Er fordert Strafen für EU-Staaten, die Flüchtlinge trotz "Dublin II" weiterreisen lassen. "Wenn ein Mitgliedstaat alle Augen zudrückt und Flüchtlinge massenhaft in andere Länder weiterreisen lässt, muss es Sanktionen geben - konsequenterweise bis hin zum Ausschluss aus dem Schengen-Verbund", sagte Uhl der "Passauer Neuen Presse". In jedem Fall müsse es möglich sein, dass die Grenzkontrollen gegenüber dem vertragsbrüchigen Schengen-Staat wieder eingeführt werden. Der EVP-Fraktionsvize im Europäischen Parlament, Manfred Weber (CSU), betonte gegenüber SPIEGEL ONLINE: "Es macht doch keinen Sinn, die Flüchtlinge über Europa zu verteilen und dann erst mögliche Asylanträge zu prüfen."

Grünen-Chef Cem Özdemir hingegen forderte mit Blick auf die vielen Flüchtlinge auf der italienischen 20-Quadratkilometer-Insel Lampedusa: "Der Norden darf den Süden dabei nicht alleine lassen." Heißt: Aufnahme auch in Deutschland. Die zuständige EU-Kommissarin Cecilia Malmström und die EU-Innenminister müssten sich umgehend zusammensetzen und zu einer fairen Lastenverteilung kommen. Der integrationspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Memet Kilic, warf der Bundesregierung vor, sie verweigere jede europäische Solidarität mit den Mittelmeeranrainern. Die Regierung dürfe die Menschenrechte nicht nur in Sonntagsreden hochhalten, sondern müsse den bedrängten Flüchtlingen auch praktisch helfen.

SPD-Innenexperte Sebastian Edathy sprach sich ebenfalls für eine "europäische Quotenregelung" aus, "die anerkannte Flüchtlinge am Maßstab der Bevölkerungszahl und der bisherigen Flüchtlingsaufnahme auf die 27 EU-Länder verteilt". Deutschland dürfe sich "nicht länger einen schlanken Fuß machen".

Italien fordert Finanzhilfe

Wie FDP-Politiker Alvaro vor ihm, appellierte auch Edathy an die Bundesregierung, beim Treffen der EU-Innenminister in der nächsten Woche konkrete Hilfszusagen zu machen. "Angesichts dramatisch gesunkener Asylbewerberzahlen in Deutschland würde die Aufnahme eines Kontingents berechtigter Asylbewerber aus Afrika die Integrationskraft des Landes sicher nicht übersteigen", betonte Edathy in der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Er sprach sich außerdem dafür aus, eine gemeinsame EU-Asylbehörde aufzubauen, die den besonders betroffenen Mittelmeerländern bei Asylverfahren hilft.

Italien, das schon in der Vergangenheit wegen seines Umgangs mit Flüchtlingen in der Kritik stand, hat nun offiziell die EU um Hilfe gebeten. Innenminister Roberto Maroni forderte von der EU-Kommission am Montag den Einsatz der EU-Grenzschutzagentur Frontex sowie Unterstützung in Höhe von 100 Millionen Euro an. Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi telefonierte laut einer Mitteilung der Regierung in Rom mit EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und erklärte, dass es sich um einen Notfall handele, der "die ganze EU betrifft und entsprechend angegangen werden muss". Van Rompuy habe diese Sicht geteilt und zugesagt, das Thema baldmöglichst auf einem EU-Gipfel zu diskutieren.

 

Italiens Außenminister Franco Frattini traf am Montagabend zu einem Kurzbesuch in Tunis ein, um mit dem Regierungschef Mohammed Ghannouchi über den Ansturm der Flüchtlinge auf Lampedusa zu sprechen. Infolge der durch den Sturz von Präsident Zine el-Abidine Ben Ali ausgelösten Wirtschaftskrise in Tunesien flohen in den vergangenen Tagen mehr als 5000 Tunesier auf die kleine Insel. Am Montag trafen zunächst jedoch keine weiteren Migranten ein.

Acht tunesische Bootsflüchtlinge haben die Küstenwache ihres Landes für das Sinken ihres Schiffs verantwortlich gemacht. Das Schiff der Küstenwache habe das Boot mit 120 Flüchtlingen an Bord gerammt, so dass es in zwei Hälften gebrochen sei, sagten Überlebende am Montag der Nachrichtenagentur AFP. Bei der versuchten Überfahrt nach Italien waren am Freitag fünf Menschen ums Leben gekommen, 30 werden noch vermisst.

Die Küstenwache in der tunesischen Hafenstadt Zarzis bestätigte auf AFP-Anfrage, dass das Boot gesunken sei, führte dies jedoch auf dessen schlechten Zustand zurück. Weiter wollten die Beamten den Vorfall nicht kommentieren.

Quelle:SPIEGEL ONLINE

Zuletzt aktualisiert am Freitag, den 18. Februar 2011 um 13:30 Uhr
 

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